BÄÄÄM – das Seitenfenster des Autos springt in 1000 Teile…
Gestern Abend 19:35
Gut gelaunt, völlig wach und recht entspannt fahre ich das letzte Stück Landstraße. Wir sind gleich da. Noch knappe 5 Minuten, dann liefern wir die Kids bei Oma und Opa ab.
Denke ich…
Eine Stunde vorher, wir fahren gerade los, Schneesturm.
Nina sagt von hinten aus ihrem Kindersitz: „Mama, ich hab ein komisches Gefühl. Ich hab ein bisschen Angst vor dem Schneesturm glaub ich. Und dass wir rutschen.“
Ich antworte ihr: „Ja Nina, der Schneesturm ist ganz schön stark. Aber ich fahre vorsichtig und es ist nicht glatt auf der Straße, sondern nur nass. Außerdem ist Mama eine richtig gute Autofahrerin.“
Wir fahren so dahin. Hieu, mein Freund, sitzt neben mir und ist vertieft darin, mein Handy wieder zum Laufen zu bringen. Seit einigen Stunden schaltet es sich immer wieder aus und ein und ist nicht mehr zu bedienen. Ich konzentriere mich auf das Fahren und lausche der Musik.
Nina ist wieder ruhiger. Sie scherzt noch etwas mit Niclas herum, doch so langsam werden die beiden müde. Niclas schläft zuerst ein, Nina träumt so vor sich hin, während sie aus dem Fenster sieht.
Der Schneesturm lässt nach. Die Straßen sind nass, aber nicht rutschig. Alles easy.
Nach knapp einer Stunde verlassen wir die Bundesstraße und biegen auf oben genannte Landstraße ein. Noch 8 Minunten bis zum Ziel.
Die Landstraße zieht sich in langen Kurven, die man locker mit 90 oder 100 km/h fahren kann. Nur wenige Autos kommen entgegen, wie immer hier in in Niederbayern. Noch 7 Minuten bis zum Ziel.
Es ist alles so vertraut. Ich kenne jedes Stück Wald auf diesem Weg. Wie oft bin ich die Strecke zu meinen Schwiegereltern schon gefahren in den letzten 12 Jahren? Ich schalte das Fernlicht ein, da kein Auto entgegenkommt. Noch 6 Minuten bis zum Ziel.
Jetzt kommt mal wieder ein Auto entgegen. Von weitem schon sehe ich den Lichtkegel des Autos und blende ab. Ich lenke das Auto in die langgezogene Linkskurve. Das Auto ist ein klein wenig zu weit links, aber noch in meiner Spur. Ich kenne unsere Mercedes Viano gut, ich hab noch ein Stück bis zur Mittellinie. Das entgegenkommende Auto kommt näher und ich denke: „Ui, das wird ein bisschen eng, der ist ganz schön nah, aber das sollte…“
BÄÄÄÄM!!!!
Ein lauter Knall.
„Oh Gott, was ist mit dem anderen Auto jetzt passiert?“ schießt es durch meinen Kopf.
Als nächstes registiere ich, dass die Scheibe neben mir ein rießiges Loch hat.
Scherben fliegen durch das Auto.
„Oh Gott, Niclas! Hat es ihn hinter mir erwischt?“
Ich drehe mich nicht um. Ich halte nur das Lenkrad fest, trete auf die Bremse. DA! Eine Einfahrt. Ich lenke das Auto in die Einfahrt, das Auto steht. Ich schalte die Warnblinkanlage ein.
Hieu hat sich bereits zu den Kindern umgedreht.
„Niclas ist nichts passiert!“ sagt er.
Ich drehe mich zu Niclas um. Unglaublicherweise schläft er immer noch, wacht nur ganz langsam auf.
Nina fängt an zu weinen „Mama, Mama, was ist passiert?“
„Alles ok Nina. Wir hatten jetzt einen Unfall. Aber niemand ist verletzt, alles wird gut“ rede ich beruhigend auf sie ein.
Als ich die Fahrertüre öffne, fallen weitere Stücke der Schreibe heraus. Das Geräusch ist furchtbar!
Wir steigen aus. Von hinten kommt ein Auto. Es bleibt stehen, ein Mann steigt aus. Er erkennt sofort was los ist und sagt zu mir: „Kümmern Sie sich um die Kinder, ich rufe die Polizei!“
Ich zittere jetzt am ganzen Körper.
Dann kommt das Auto, das uns gestreift hat. Die zwei Männer steigen aus und schauen nach uns. An ihrem Auto ist nur der Außenspiegel kaputt. Sie sind sehr hilfsbereit.
Ich bemerke plötzlich, dass meine linke Hand ziemlich brennt. Im Licht der Handys schaue ich auf meinen Handrücken und sehe, dass sie von dutzenden kleinen Schnitten und Kratzern übersäht ist, die teilweise bluten. Nicht schlimm, zum Glück.
Ich steige erstmal hinten zu den Kindern ein und tröste sie. Auch Niclas hat nun angefangen zu weinen. Ich suche Decken und Kuscheltiere, weil die Kinder anfangen zu frieren. Vor Schreck und weil ja nun die Kälte ins Auto kommt. Mein eigener Außenspiegel hatte durch die Wuchts des anderen Außenspiegels meine Scheibe zertrümmert.
Die herumfliegenden Scherben hatten sich überall auf unserer Kleidung verteilt, Hieu und ich hatten sogar kleine Splitter in den Haaren. Doch wie durch ein Wunder hat es niemanden im Gesicht oder gar in den Augen getroffen.
Eine gute Stunde später sitzen wir alle auf Omas Sofa und trinken warmen Tee. Der Schreck sitzt uns noch immer allen in den Gliedern. Wir kuscheln. Die Tränen trocknen.
5 Minuten waren es noch zum Ziel. Wenige Kilometer.
Ich war nicht abgelenkt. Hab keinen Fehler gemacht. Dennoch ist es passiert. Sekundenschnell die Kontrolle verloren.
Für mich ist das schwerer auszuhalten, als wenn ich den Fahrfehler gemacht hätte, denn so entzog es sich gefühlt meinem Wirken.
Meine Tränen kamen erst heute morgen. Als mir so richtig klar wurde, was alles NICHT passiert ist.
Von allen meinen möglichen Realitäten habe ich eine erschaffen, in der ein paar Schnitte an der Hand, ein paar erschrockene Seelen und ein Blechschaden das ganze Ausmaß des Übels waren.
Und heute morgen beim Frühstück sagte ich dann zu Hieu:
„Weißt Du… und was, wenn es sogar etwas Gutes hatte? Was, wenn ich dieses Auto sozusagen gestoppt habe, damit im nächsten Auto hinter mir niemand sterben musste?“
DANKE an alle meine Engel. Good job, guys! <3 <3 <3
Aus Facebook. Originalbeitrag und Kommentare hier.